Im normalen Individuum erbringt das Immunsystem eine Höchstleistung, in dem es erfolgreich zwischen krankheitsauslösenden Erregern («Fremd») und Produkten des eigenen Körpers («Selbst») unterscheidet. Die Aufgabe, Fremdantigen spezifisch erkennen zu können und eine sinnvolle Abwehrreaktion einzuleiten, wird hauptsächlich von T-Lymphozyten wahrgenommen. In etwa 7% der Bevölkerung funktioniert dies jedoch nicht oder nur teilweise, weil das T-Zell-Abwehrsystem ein falsches Ziel verfolgt: das «Selbst». Bei den betroffenen Patienten entstehen in der Folge Autoimmunerkrankungen verschiedenster Ausprägung, zum Beispiel Gelenkrheuma, Multiple Sklerose, Diabetes, Schuppenflechte oder entzündliche Darmerkrankungen. Aufgrund der klinischen Bedeutung dieser Erkrankungen ist es notwendig, die Taktiken zu begreifen, auf welche das Immunsystem im Normalfall zur Vermeidung der Autoimmunität zurückgreifen kann. Ziel dieser kurzen Übersichtsarbeit ist es, bestehende und neue Erkenntnisse über die zelluläre und molekulare Basis der «Fremd»/«Selbst»-Diskrimination durch T-Lymphozyten zusammenzufassen und zu erörtern. Toleranz gegen Selbstantigene wird auf zwei Ebenen hergestellt: im Thymus und in der Peripherie. Im Thymus werden die T-Zellkandidaten zwei sequenziellen Selektionsschritten unterzogen, um die nutzlosen oder gar schädlichen Spezifitäten von den Nützlichen zu trennen. Diese zwei Prüfungen werden als positive und negative Selektion bezeichnet, wobei die dazu notwendigen Signale von kortikalen und medullären Thymusepithelzellen bereitgestellt werden. Als Folge dieser Prozesse soll ein Repertoire an T-Lymphozyten entstehen, welches in der Lage ist, auf fremde Antigene reagieren zu können und gleichzeitig tolerant gegen Produkte des eigenen Körpers zu sein. Diese thymische Toleranzinduktion wird auch als zentrale Toleranz bezeichnet. Die zentrale Toleranzinduktion ist jedoch unvollständig und so können autoaggressive T-Zellen aus dem Thymus entweichen. Diese müssen in der Peripherie durch ein Netzwerk unterschiedlicher Kontrollmechanismen, zu welchem u.a. auch regulatorische T-Zellen gehören, unter Kontrolle gehalten werden (periphere Toleranz). Die Anzahl und Bandbreite des peripheren autoaggressiven T-Zellrepertoires wird jedoch durch einen besonderen Mechanismus beschränkt: Thymische medulläre Epithelzellen sind interessanterweise befähigt, einen Teil des peripheren Selbstantigenrepertoires zu reproduzieren. Dies betrifft zum Beispiel Insulin, welches sonst ausschliesslich in der Bauchspeicheldrüse hergestellt wird. Mittels dieses Vorgangs, welcher als «promiskuitive»oder «ektope»Genexpression bezeichnet wird, stellen thymische Epithelzellen den zu selektionierenden T-Zellen ein molekulares (Teil-)Abbild der Peripherie – eines «Schattens des immunologischen Selbst»- zur Verfügung. Somit ist der Thymus befähigt, zentrale Toleranz gegen eine Vielzahl organspezifischer Antigene herzustellen. Dieser erst kürzlich erkannte Zusammenhang stellt das Immunsystem in ein völlig neues Licht, was die Toleranzinduktion gegen gewebstypische Selbstantigene – und damit die Prävention organspezifischer Autoimmunerkrankungen – betrifft.